Es ist Freitagmittag, nach Tagen unter dicken Wolken sehe ich endlich den blauen Himmel wieder und helle Sonnenstrahlen erwärmen mein Gesicht. In der eiskalten aber klaren Luft erstrecken sich am Horizont die weißen Gipfel der schneebedeckten Alpen. Sofort packt mich wieder das Fernweh, weg aus der grauen, erdrückenden Stadt, hinaus in die Weite der Berge.

Es ist schwer, der Versuchung nachzugehen, meinen Laptop einzupacken und sofort loszufahren in die Berge. Wie können sich Menschen nur länger an einem Ort aufhalten, wenn das Fluchtfahrzeug immer bereitsteht, bereit für das nächste Abenteuer? Manchmal kommt es mir so vor, als würde sich Wilma immer wieder ganz heimtückisch in meinen Hinterkopf schleichen und mir zuflüstern, dass sie schon wieder viel zu lange an einer Stelle steht. Schon mindesten drei Tage! Komm Lea, rede ich mir ein, noch ein paar Stunden arbeiten, dann kannst du los, ok? Statt zu arbeiten kontaktiere ich ein paar Freunde, ob jemand mitkommen will in die Berge, schaue Wetter- und Schneekarten an und studiere Wanderkarten um eine passende Route zu finden. Wie gut, wenn man bei den Glaziologen arbeitet, und es völlig normal ist, auf der Arbeit irgendwelche Karten der Schweizer Alpen und Schneemengen zu erstellen…

Nach ein paar Stunden Alibi-Arbeiten steht dann die Route und ich radle voller Vorfreude nach Hause zu Wilma – wo auch immer das gerade ist. Ihr kennt das ja, „Home is where you park it“ und so.

Auf in die Berge!

Nachdem ich mein Fahrrad im Wohnzimmer festgeschnallt habe geht es endlich los! Dieses Wochenende nehme ich meinen Kommilitonen Duncan mit auf meine Schneeschuhtour, ich sammle ihn unterwegs auf und wir fahren zusammen Richtung Berge. Wäre das Leben ein Film zum Thema Vanlife, würden wir jetzt mit cooler Roadtrip-Musik auf den Ohren in den goldenen Sonnenuntergang fahren.

In der Realität sieht das Leben aber folgendermaßen aus: Wilma ist beim Fahren auf der Autobahn so laut, dass die Lautsprecher das Motorengeräusch nicht übertönen können und Gespräche nur halb geschrien möglich sind. Unterwegs ist natürlich Stau, wir müssen noch auf einem Rastplatz halten und bei eisigen Temperaturen Grauwasser und Toiletteninhalt entsorgen und Frischwasser fürs Wochenende auffüllen. Und bis wir in den Bergen sind, ist es natürlich fast dunkel und noch kälter.

Zum Glück ist Duncan begeisterter Rennradfahrer und kennt jede einzelne Spitzkehre aller Schweizer Passstraßen persönlich, wir finden also auch bei schlechter Sicht und ziemlich vereisten Straßen sicher einen schönen Stellplatz für die Nacht. Als Erstes wird die Standheizung angeworfen, dann ein leckeres Menü gezaubert und nach einem Glas Wein geht es auch direkt ins Bett. Morgen wollen wir ja früh raus und so. Aber nicht, ohne vorm Einschlafen noch den vom Vollmond hell beschienenen Bergen, die unter der weißen Schneedecke liegen, gute Nacht zu sagen.

Schere-Stein-Papier, wer muss sich auf dem Parkplatz umziehen?

Hatte ich erwähnt, das Aufstehen im Van der schlimmste Teil des ganzen Tages ist? Aber wenn man die Gardine zur Seite schiebt und auf das schönste Bergpanorama blickt, ist alles nur noch halb so schlimm. Und wenn man gut im Scher-Stein-Papier-Spielen ist, und sogar Kaffee gekocht bekommt, ist quasi alles ziemlich in Ordnung. Leider bin ich außergewöhnlich schlecht…

Mit der Aussicht, gleich durch den perfekten Pulverschnee durch die Berge wandern zu dürfen, geht aber auch das irgendwie. Schnell ein Pfund Müsli leer löffeln, Winterwanderhose, dicke Socken und Bergstiefel an, Mittagessen einpacken und losgeht es. Wobei auch das wieder leichter klingt, als es ist. Wilma ist an sich schon sehr geräumig, aber Winterkleidung mit Jacken für zwei Personen, Stiefel, Schneeschuhe, Stöcke, etc. verwandeln auch den größten Van innerhalb von Sekunden in Endzeitchaos.

Ich outsource das dann ganz gerne, einer muss sich eben draußen anziehen – dann geht es auch viel schneller bei den frostigen Temperaturen.

Versunken im Schnee

Als dann endlich alle Schuhe angeschnallt sind, watscheln wir los, raus in den tiefen, perfekt pulvrigen Schnee. Ja, wir watscheln, denn es ist unmöglich, mit Schneeschuhen auch nur annähernd elegant zu Laufen. Ist uns aber egal und die einzig anderen Lebewesen, die unterwegs sind, sind ein paar Hasen- die stören sich wahrscheinlich recht wenig an uns.

Wir merken aber schnell, dass der Schnee zwar der Traum eines jeden Skifahrers ist, gleichzeitig aber der Albtraum zum Schneeschuhgehen. Wenn der Schnee recht frisch gefallen und noch nicht gefestigt ist bzw. ein paar Schmelzzyklen durchgemacht hat, sinkt man auch mit Bigfoot-Schuhen bei jedem Schritt bis zur Hüfte ein und kommt fast nicht vom Fleck. Da hat der Tourorganisator wieder die Wetterkarte falsch/nicht gelesen – wer das wohl war? (Hinweis: sie heißt Lea und wohnt in einem Van namens Wilma).

Zum Glück finden wir aber in der Nähe eine Route, die vorher schon begangen wurde und somit angenehmer zu laufen ist. Der Spaß kann also losgehen, stundenlang wandern wir durch wunderschön verschneite Wälder, über Bergkämme, genießen die atemberaubende Aussicht und saugen jeden Moment Wintersonne auf unseren Gesichtern auf. Nach der Mittagspause wird die Route ein bisschen steiler, aber wird als routinierte Schneeschuhgeher haben die „Auf-dem-Hintern-im-Tiefschnee-den-Hang-runterrutsch“-Technik inzwischen perfektioniert und kommen kurz vor Sonnenuntergang wieder bei Wilma an.

Und das Ganze rückwärts

Ihr kennt das Prozedere, das jetzt folgt: Schneeschuhe und Stiefel aus, dabei irgendwie versuchen, möglichst wenig Schnee in den Bus zu schaufeln, die großen nassen Gegenstände nach vorne ins Fahrerhaus bugsieren, kleine Sachen über die Heizung hängen und erst mal einen heißen Kakao aufsetzen. Puh, die Skifahrer können sich das vielleicht nicht vorstellen aber eine richtige Wanderung im Schnee ist ganz schön anstrengend! Nach so einem Tag gibt es nichts Schöneres als zurück in den gemütlichen und warmen Bus zu kommen und zu entspannen. Ich zumindest bin nach so einem Tag immer völlig am Ende. Glücklich, aber am Ende. Danke für den schönen Tag im Schnee, Wilma! Ich bin gespannt, was morgen so bringt.